Es ist 2023, Anfang März, und bereits dunkel geworden, als ich mich allmählich Gehlberg nähere. Das Bergdorf liegt in der Gipfelregion des Thüringer Waldes, es ist umgeben von den höchsten Erhebungen des Mittelgebirges. Die Scheinwerfer leuchten auf die weißen Flächen rechts und links der Fahrband, jedes Mal, wenn die Straße in einer neuen Kurve verläuft.
Hier liegt Schnee, der Himmel ist sternenklar und nicht von Stadtlichtern erhellt. Ich schraube mich den Berg hoch. Spannend, die letzten Meter, im wahrsten Sinne des Wortes – in den kommenden Tagen werden wir also nun unser Kollektiv gründen.
Das alles hat schon vor langer Zeit begonnen.
„Lasst uns mal ein Kollektiv gründen. Um uns zusammen zu tun, so dass nicht jede alleine vor sich hin arbeiten muss, mühsam, kämpfend, immer wieder neue Ideen suchend, um das Genre der Dokumentarfotografie mehr in das Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen.“
Das war Nina’s Vision.
Kann man gemeinsam nicht viel mehr erreichen? Ressourcen bündeln – Ideen, Wissen und Können und auch finanzielle Investitionen teilen? Diesen Wunsch sprach sie im September 2020 das erste Mal laut aus. Ein dokumentarfotografisches Kollektiv fernab von wirtschaftlichen Zielen. Vielmehr ein Zusammenschluss von Menschen, die für dieselbe Sache brennen, gemeinsam etwas auf die Beine stellen und sich nicht dem (kapitalistischen) Druck von Leistungserbringung, Profit und Konkurrenzgedanken aussetzen wollen. Mehr miteinander, weniger gegeneinander.
Viele Gespräche, Gedanken, Begeisterungsstürme, Hürden, Ernüchterungen, Erkenntnisse, Veränderungen und bewusste Entscheidungen später, und heute kommen wir sechs da zusammen, wo das alles begonnen hat – mit einem tiefen inneren Bedürfnis, sich gemeinsam auf den Weg zu machen, für ganz viel miteinander und kein gegeneinander.
Sucht man im Netz nach einer Definition, findet man grob zusammengefasst Folgendes:
Genau so ist das bei uns. Und dabei erachten wir nicht nur die Arbeit der Dokumentarfotografie als sehr wichtig, mit der wir gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und Veränderungen anstoßen wollen.
Wichtig ist für uns auch die Art unserer Zusammenarbeit, die wiederum jede Einzelne stärkt. Es gibt keine Hierarchie, nicht eine einzelne Person, die sagt, wie es läuft. Wir treffen Entscheidungen gemeinsam und tragen eine gemeinsame Verantwortung. Wir haben Leitsätze und Werte definiert für unser Handeln im Inneren und nach Aussen hin. Diese Vereinbarungen, die gemeinsam getroffen und auch nur gemeinsam verändert werden können, sind der Kerngedanke kollektiver Projekte.
Die Auflösung von Hierarchie bringt mit sich, dass sicherlich oftmals langwierigere, aber genau dadurch auch bedachtere, bewusstere Prozesse notwendig sind, die die Entscheidungsfindungen ermöglichen.
Entscheiden wir tatsächlich immer im Konsens? Ja, den Anspruch haben wir definitiv und natürlich erleichtert die überschaubare Größe unseres Kollektivs und die Tatsache, dass wir keine ökonomischen Ziele verfolgen, diesen Anspruch auch in die Realität umzusetzen.
Wir haben bereits im Gründungsprozess des Kollektivs über die vergangenen zwei Jahre festgestellt, dass sich durch das gemeinsame, gleichberechtigte, kooperative Miteinander die Beziehungen aller Beteiligten zueinander positiv entwickeln. Ein selbstbestimmtes, freudvolles, engagiertes miteinander Arbeiten ist möglich, wenn jede sich so einbringen kann, wie es ihre Kapazitäten erlauben.
Durch die völlig entgegengesetzten Systeme, die in unserer Gesellschaft etabliert sind, ist der Gedanke eines solchen kollektiven Zusammenschlusses, der in unserem Falle auch noch fernab jeglicher monetärer Interessen agiert, sicherlich für viele Menschen erst einmal nicht so ganz greifbar. Wir stellen uns allerdings mehr und mehr die Frage, warum das Stirnrunzeln für eine Welt, in der nicht viel mehr miteinander füreinander agiert wird, nicht viel angebrachter ist?
Das ZWEI.DREI.Kollektiv ist ein gesellschaftlich relevantes, solidarisches Projekt, das sich organisch entwickeln und die visuelle Stimme einer diversen Gesellschaft sein möchte, in der wir uns mehr Sichtbarkeit für die unterschiedlichen Realitäten und Lebensentwürfe wünschen.
Über unser lebendiges Gründungstreffen im Thüringer Wald kannst du im separaten Blogpost lesen.